Hautnah

Bei den Fotosessions des japanischen Künstlers Photographer Hal bekommt das Wort Nähe eine ganz neue Dimension. Er fotografiert eng umschlungene Paare, die er vorher in durchsichtige Folie einwickelt und dann vakuumiert: Dem eingewickelten Paar wird der Sauerstoff entzogen und knapp 10 Sekunden lang ist es unfähig zu atmen. Eine Art Nahtod-Erfahrung, die viel Vertrauen zum Künstler. voraussetzt. Es geht um die (Wieder-)vereinigung von Mann und Frau – zwei Liebenden – zu Einem. Der Schöpfungsprozess in der Umkehrung. Dies dauert nur einen kleinen Augenblick und wird in einem Foto verewigt.

Photographer Hal

Haruhiko Kawaguchi, alias Photographer Hal, geboren 1971 in Tokio, studierte zunächst in seiner Heimatstadt. Auf der Suche nach Begegnungen mit möglichst vielen unterschiedlichen Menschen verließ er Japan und entdeckte auf seinen Reisen durch den Mittleren Osten und Indien seine Liebe zur Fotografie. Mit Hilfe der Kamera überwand der Künstler Hal nicht nur Sprachbarrieren sondern, wie er selbst sagt, seine eigene Schüchternheit. Nach Studienabschluss arbeitete er in der Werbung und in der Modefotografie. Dabei rückte der Mensch selbst immer stärker in den Mittelpunkt seiner Arbeit.

Photographer Hal

Die Folie setzt Hal ein, um die maximale Nähe der Personen erlebbar zu machen: Sie umschlingt die Modelle lückenlos eng und ermöglicht es gleichzeitig dem Betrachter, an diesem Augenblick der extremen Nähe teilzunehmen. Sein Leben, so der Künstler in einem Interview, hatte viele Höhen und Tiefen und diese extreme Form der Bindung zweier Liebenden aneinander, zeige auch sein eigenes Verlangen nach tiefen Beziehungen.

Unser Bedürfnis frei zu atmen – auch im übertragenen Sinn – ist zu Pandemie-Zeiten ein zentrales Thema. Allein der Anblick der vakuumisierten Menschen lässt einen tief Luft holen. Hal hat mit seinen Arbeiten der vergangenen Jahre in fast beängstigender Weise eine menschliche Konstellation vorweggenommen, die bislang nur als punktuelles Experiment stattgefunden hat – und das immer freiwillig und als Ausdruck besonderer Hingabe der Modelle zueinander. Aus seiner Fotoserie ‚Flesh Love All‘ stammt das Bild eines vakuumisierten Paars vor seinem Zuhause. Hal macht die Verbundenheit zweier Menschen sichtbar und gleichzeitig die Bindung dieser Einheit an ihre unmittelbare und weitere Umgebung. Hier wird der Bezug des Individuums zum Globalen visualisiert; mit seiner Sehnsucht genauso wie mit potentiellen Herausforderungen und Bedrohungen.

Photographer Hal

In den Augen des Pandemie-geprägten Betrachters bekommt die Symbolik in Hals Bildern eine ganz neue Dimension: Die Folie wirkt wie eine ganzheitliche Schutzhülle eines abgeschirmten, privaten Areals, in das keine Gefahr eindringen kann.

Weder verhüllt Hal, noch grenzt er ab. Er nutzt die Hülle, um das Innerste der Menschen nach außen zu holen, legt die emotionale Entscheidung füreinander offen. Jetzt, zu Covid-Zeiten, scheinen seine Bilder zu versinnbildlichen, dass die Pandemie uns die Luft zum atmen nimmt und gleichzeitig feiern sie die kostbare Intensität der Zweisamkeit. Seit Beginn der Pandemie steigen die Anfragen von Paaren und auch Familien, ihre Zugehörigkeit zueinander mittels einer Fotosession zu manifestieren. Dabei bleibt die Folie nicht ein trennendes, sondern das verbindende Element zwischen Individuum und Umwelt.

Die Ähnlichkeit der Inszenierung der Modelle zum embrionalen Zustand ist offensichtlich. Die Folie als schützende Hülle, wie eine Fruchtblase – nur ohne Sauerstoff; aber auch darum geht es bei Hals Arbeit: der Co-Existenz von Leben und Tod, von Unschuld und Gefahr. Sobald Leben entsteht, ist auch der Tod präsent. Die Paare zeigen sich in der schutzlosen Intimität, der lückenlosen Zuwendung zueinander und der Entscheidung, genau dies miteinander zu erleben. Dieses Spannungsfeld zwischen maximaler Intimität und Preisgabe nutzt Hal für sein künstlerisches Statement: die grenzüberschreitende, menschenverbindende Liebe.

SHE & SHOES

Aufgrund der aktuellen Lage entfällt eine Ausstellungseröffnung. Stattdessen können Interessierte vom 15. Mai bis 30. Mai individuell und persönlich die neuesten Schuh-Kreationen der Spanischen Designerin Irene Ortega und Porträt-Photographien aus den 1990er Jahre von Michael Nischke erleben. Michael Nischke und die Organisatorin Janine Kusy sind die gesamte Ausstellungszeit anwesend. Individuelle Besuchstermine sind jederzeit telefonisch möglich (0174/3222 843)

SHE & SHOES  – Nicht nur für Schuhfans:

Wer zeitloses und ebenso individuelles Design genauso liebt wie starke Fotokunst, sollte bei der Galerie Nischke in Münchens Baaderstraße vorbeischauen. Ab dem 14. Mai 2020 werden dort erstmalig Schuh-Kreationen des spanischen Labels EIGHT & OCTOBER gezeigt und bisher nicht veröffentliche Portraits des Fotografen Michael Nischke aus den Jahren 94-99. Die Schuhmodelle der Designerin Irene Ortega aus Barcelona sind natürlich in Handarbeit gefertigt und stehen den faszinierenden Frauenportraits gegenüber. Hier treffen Leichtigkeit und Lebensfreude auf verborgene Leidenschaft und Tiefgründigkeit – inszenieren sich gegenseitig und verbinden sich wie so oft in dem Einklang von Mode und Sehnsucht.

Chez Susanne (II) MICHAEL NISCHKE

tres zapatos Eight&October
Marajan (c) MICHAEL NISCHKE
LeRouge Eight&October

SHE & SHOES, Eröffnung 14.Mai 2020, 19:30, Galerie Nischke, Baaderstraße52, 80469 München https://www.galerie-nischke.com/ https://m.facebook.com/eightandoctober/?locale2=de_DE

Norman Seeff im Kölner MAKK

Wirklich zu empfehlen ist diese kurzweilige, aber intensive Fotosammlung des amerikanischen Künstlers Norman Seeff. Norman Seeff, 1939 in Johannesburg, Südafrika, geboren, wandert 1968 illegal nach New York ein, mit einer Kamera und dem Wunsch im Gepäck, mit dieser ein erfolgreicher Fotograf zu werden. Langsam aber sicher macht er sich einen Namen als jemand, der hauptsächlich bekannte Musiker in ihrer vertrauten Umgebung fotografiert. Er wird Art Director von United Artists Records in Los Angeles und eröffnet 1974 sein eigenes Studio auf dem Sunset Boulevard. Seeff erschafft Momentaufnahmen, die die Künstler in ihrer charakterlichen Gesamtheit einfangen und erfassen. Sehr beeindruckend die Aufnahme von Jodie Foster, mit 15 bereits ein fertiger Charakter.

Jodie Foster, Norman Seeff, 1976/2014

Eine Reise in die Vergangenheit, in eine Ära, ein bisschen nostalgisch – die Anziehungskraft der Fotografien lebt auch von dem damaligen, einmaligen Zeitgeist, nicht zuletzt von der Mode. Oft sind die Bilder erst auf den zweiten Blick nicht einfach nur gute Schwarz-Weiss-Aufnahmen von den ganz Grossen aus dem Musikbusiness. Sie erzählen von der Persönlichkeit hinter der Fassade als Star.

Keith Richards, Norman Seeff, 1972

Seeff hat einen sicheren Blick für die Menschen, die er vor die Kamera holt, fotografiert sie in lockerer Atmosphäre, scheinbar spielerisch, und holt dadurch Verdecktes an die Oberfläche. Das passiert auch mal ungewollt. Schön zu sehen bei der Session mit Ike und Tina Turner.

Ike and Tina Turner, Norman Seeff, 1975

Norman Seeff hat Spass an den Beziehungen der Menschen zueinander; Mitte der Siebziger fängt er an, die shootings mit den Musikstars filmen zu lassen, das MAKK zeigt davon Ausschnitte auf Monitoren und holt die Besucher so ganz nah mit an die Settings. Wie so häufig zeigt der eine oder andere Künstler unerwartete Seiten…

Norman Seeff

Amüsant ist die vom MAKK angebotene (kostenlose) Führung einer Mitarbeiterin, die mit stories aus der Zeit aufwartet und die die Liebe zu dieser Ära gern mit den Besuchern teilt.

Norman Seeff The Look of Sound, noch bis zum 8. März 2020,https://makk.de/